bea-Bildungs­angebot

Ein digitales Bildungs­angebot zum Umgang mit Rechts­extremismus in Gaming-Kontexten

Ein digitales Bildungs­angebot zum Umgang mit Rechts­extremismus in Gaming-Kontexten

Die Entstehung des Kurses Gaming und Rechtsextremismus

Von Jamina Diel

Die Nutzung des Internets ist für die meisten Menschen in Deutschland zu einem Teil ihres Alltags geworden. Vier von fünf Deutschen ab 14 Jahren sind täglich online[1], sei es zum Streamen von Videos, zu Arbeitszwecken oder zum Austausch mit Freund*innen und Bekannten über Soziale Medien. Auch Freizeitbeschäftigungen und der Konsum von Waren haben sich insbesondere seit der Corona-Pandemie immer weiter in den digitalen Bereich verlagert.

Diese Elemente verbinden sich bei digitalen Spielen, die online meist schnell verfügbar sind und in ihrer Vielfalt breite Zielgruppen ansprechen. So spielten laut dem Verband Bitkom 2022 ca. 37 Millionen Menschen ab 16 Jahren in Deutschland digitale Spiele – jüngere Spieler*innen sind hier noch nicht mitgerechnet. Angesichts dieser großen Zahl an Spieler*innen lässt sich bereits erahnen, wie groß der kulturelle Einfluss und die kulturelle Bedeutung digitaler Spiele ist[2]. Angesichts der Nähe des digitalen Spielens zu digitalen Medien ist es nur naheliegend, dass auch der Austausch über digitale Spiele sehr häufig auf hierfür geschaffenen Online-Plattformen, wie bspw. Steam, stattfindet. Je nach Plattform gibt es vielfältige Möglichkeiten zum Kauf von Spielen, zum Austauschen und Vernetzen in Gruppen und Foren, zum Teilen selbsterstellter Modifikationen für ein digitales Spiel sowie zum Hochladen von Bildern, Videos etc.

„Im Sinne einer digitalen rechtsextremen Erlebniswelt kann Gaming auch eine zentrale Rolle bei der Radikalisierung von Personen einnehmen.“

Jamina Diel

Zugleich werden die Plattformen größtenteils wenig moderiert; so besaß die weltweit meistgenutzte Spiele-Plattform Steam mit ca. 120 Millionen Nutzer*innen 2022 bspw. nur 26 teils ehrenamtliche Moderator*innen[3]. Dies ermöglicht es auch Rechtsextremen[4], die zahlreichen Funktionen der Plattformen vergleichsweise frei zu nutzen und sich zu vernetzen und Propagandainhalte zu verbreiten[5]. Im Sinne einer digitalen rechtsextremen Erlebniswelt kann Gaming auch eine zentrale Rolle bei der Radikalisierung von Personen einnehmen, wie Köhler, Fiebig und Jugl an zwei Beispielen von Jugendlichen in Deutschland zeigen. Anhand von Polizeidokumenten zeichnen die Forschenden nach, welche Bedeutung der sozialen Komponente des gemeinsamen Spielens und Austauschens über Spiele mit rechtsextremen Spieler*innen online im Radikalisierungsprozess zukam[6].

„Im Projekt Gaming und Rechtsextremismus haben wir uns daher entschieden, Handlungsmöglichkeiten für pädagogische Fachkräfte aufzuzeigen.“

Jamina Diel

Dieser Entwicklung müssen wir als Gesellschaft sowohl offline als auch online begegnen. Hierfür braucht es ein fundiertes Verständnis davon, wie und warum sich Menschen radikalisieren, um zum einen angemessen intervenieren und zum anderen neuen Radikalisierungen durch passende Angebote vorbeugen zu können. Gerade pädagogische Fachkräfte sind dabei durch ihre Expertise und den direkten Kontakt mit Menschen prädestiniert dafür, frühzeitig Warnhinweise zu erkennen und fachlich fundiert tätig zu werden. In einer nicht repräsentativen Erhebung unter 53 pädagogischen Fachkräften, die das Projektteam im Mai 2022 durchgeführt hat, zeigte sich jedoch, dass lediglich jede*r Fünfte (20,08%) sich sicher darin fühlt, Jugendliche befähigen zu können, sich gegen rechtsextreme Ansprachen auf Spiele-Plattformen zu schützen. 

Im Projekt Gaming und Rechtsextremismus haben wir uns daher entschieden, einen Schwerpunkt auf die Vermittlung von Wissen zu Gaming sowie zu Rechtsextremismus im Kontext Gaming zu legen und Handlungsmöglichkeiten für pädagogische Fachkräfte aufzuzeigen. Statt hierfür „Fortbildungstouren“ durch Deutschland zu organisieren, beschlossen wir, einen E-Learning-Kurs zu entwickeln.

Ein Web Based Training zu Gaming und Rechtsextremismus

E-Learning ist ein Sammelbegriff für sehr unterschiedliche Formate, in denen Bildungsprozesse mit digitalen Technologien verschmolzen sind[7]. Grundlegend wird unterschieden in Blended Learning, eine Mischung aus Lernen in Präsenz und digital, und rein digital-gestützte Formate. Ein weiteres Unterscheidungskriterium sind synchrone (alle Nutzer*innen nehmen gleichzeitig z. B. an einem Webinar teil) versus asynchrone (Nutzer*innen eignen sich selbstbestimmt z. B. anhand von Videos Wissen an) Formate. Im Rahmen des Projekts entschieden wir uns für ein asynchrones, rein digitales Angebot, häufig auch Web Based Training (WBT) genannt. WBTs eignen sich zur Vermittlung von deklarativem, prozeduralem und konditionalem Wissen, können aber auch genutzt werden, um Lern- und Wissensstände zu reflektieren oder zu überprüfen. Durch interaktive, multimediale Elemente können Teilnehmer*innen aktiviert und einbezogen werden. Es gab mehrere Gründe, aus denen heraus wir uns für ein WBT entschieden: Wir möchten mit dem Kurs eine sehr breite und große Zielgruppe erreichen, darunter bspw. einen Erzieher im Schwarzwald genauso wie eine Lehrkraft in Lübeck oder eine Respekt-Coachin in Essen. Mit einem WBT können wir gleichzeitig an jedem dieser Orte sein. Durch die eingesparten Reisezeiten und -kosten ist es tendenziell mehr Menschen möglich, am Kurs teilzunehmen. Hinzu kommt, dass die Teilnehmer*innen das Angebot flexibel gemäß ihren Ressourcen und Verfügbarkeiten nutzen können und es somit besser in Arbeitsabläufe integriert werden kann und Teilnehmende in einem für sie passenden Tempo lernen können. WBTs lassen sich zudem relativ einfach binnendifferenzieren, sodass wir mit ausreichend Zeit auch stärker differenzierte Ergänzungen und Vertiefungen je nach Interesse und Vorwissen entwickeln können. Entscheidend war zudem, dass das Projekt zunächst auf ein Jahr angelegt war. Innerhalb eines Jahres Expertise zu vertiefen, Konzepte und Methoden zu entwickeln und umzusetzen ist eine Herausforderung. Ohne einen klaren Plan, wie die Ergebnisse nachhaltig gesichert und weiter genutzt werden, würde dieser Kraftaufwand wenig lohnenswert erscheinen. Da nach der Entwicklung und Implementierung eines WBTs lediglich eine geringere inhaltliche und technische Betreuung notwendig ist, konnten wir durch das digitale Format sicherstellen, dass die Ergebnisse des Projekts auch mittel- und langfristig niedrigschwellig zur Verfügung stehen. Dabei ist das Angebot nicht nur für weitere Personen auch nach dem Projektende abrufbar, auch Absolvent*innen haben jederzeit Zugang zu dem Material und können Informationen zu einem späteren Zeitpunkt erneut abrufen. Die Fortführung des Projekts ermöglicht es uns, die vorhandenen Module inhaltlich flexibel zu aktualisieren, zu erweitern und an neue Entwicklungen anzupassen. Zugleich bringt der Einsatz von WBTs auch einige Herausforderungen mit sich: Das Lernen mit WBTs erfordert von den Teilnehmer*innen ein gewisses Maß an Selbstorganisation und Motivation, denn man durchläuft sie allein und so ist die Schwelle zum Abbruch niedriger. Angesichts des praktischen Bezugs und des Mehrwerts, den der Kurs bietet, gibt es für Fachkräfte ausreichend Anreize, den Kurs vollständig abzuschließen. Die Motivation wird zudem durch eine ansprechende Gestaltung der Module (z. B. nach dem ARCS-Modell[8]) sowie durch die Vergabe eines Zertifikats gesteigert. Teilweise löst die Vorstellung, mit E-Learning-Angeboten zu arbeiten, Verunsicherung aus. Durch eine benutzer*innenfreundliche Gestaltung des Kurses und niedrigschwellige Einführungsveranstaltungen hoffen wir jedoch, Nutzer*innen den Einstieg zu erleichtern. Ein letzter und gewichtiger Nachteil eines WBTs ist der fehlende Austausch zu spezifischen Fällen und die Möglichkeit, Fragen mit Kolleg*innen und Referent*innen zu besprechen – ein Problem, das alle Projekte mit einer so begrenzten Laufzeit haben. Hier ist die Fortführung des Projekts zentral, die es ermöglicht, das Angebot durch wiederkehrende digitale Treffen zum Austausch sowie weitere Kontaktmöglichkeiten zu ergänzen.

Die Entwicklung des Kurses

Für die Konzeption von WBTs wird zunächst eine Zielgruppen-/Bedarfsanalyse durchgeführt. Dieser Schritt ist insofern besonders zentral, da später nicht so spontan wie in einem Präsenzsetting mit Lehrperson auf weitere Bedarfe der individuellen Nutzer*innen umgeschwenkt werden kann. Hierfür braucht es bei WBTs Rückmeldungen der Nutzer*innen und eine Überarbeitung des Moduls. Auf der Grundlage der Bedarfe, die in unserer Erhebung im Mai 2022 sichtbar wurden, haben wir unsere Grobkonzeption erweitert und die Inhalte des Kurses definiert. Dabei entschieden wir uns für eine Aufteilung der Inhalte auf drei Module.

Die Webseite des Kurses Gaming und Rechtsextremismus


[1] Beisch, Natalie und Wolfgang Koch. 2022. „ARD/ZDF-Onlinestudie: Vier von fünf Personen in Deutschland nutzen täglich das Internet.“ (PDF) Media Perspektiven 10/2022: 460-470. Zuletzt besucht am 23.03.2022.

 

[2] Vgl. hierzu den Artikel „Faszination Games“ von Seren Besorak.

 

[3] Strobel, Benjamin. 2022. „Toxische Communitys: Schädliche Verhaltensweisen und wie man ihnen begegnen kann.“ In Unverpixelter Hass. Toxische und rechtsextreme Gaming-Communitys herausgegeben von der Amadeu Antonio Stiftung. 39-42.

 

[4] Unter Rechtsextremismus ist dabei ein Sammelbegriff für antidemokratische und von Ideologien der Ungleichheit geprägte Einstellungen und Verhaltensweisen, insbesondere rassistische, antisemitische und nationalistische Ideologieelemente in verschiedenen Ausprägungen, zu verstehen.

[5] Vgl. hierzu den Artikel „Die sogenannte ‚Metapolitik‘ rechtsextremer Gaming-Communitys“ von Mick Prinz und den Artikel „Super Mario Brothers Extreme?“ von Linda Schlegel.

 

[6] Köhler, Daniel, Verena Fiebig und Irina Jugl. 2022. „From Gaming to Hating: Extreme-Right Ideological Indoctrination and Mobilization for Violence of Children on Online Gaming Platforms.” In Political Psychology, 44. 419-434.

 

[7] Siehe S. 32 in Fischer, Helge. 2014. E-Learning im Lehralltag. Analyse der Adoption von E-Learning-Innovationen in der Hochschullehre. Wiesbaden: VS Springer.

 

[8] ARCS steht für Aufmerksamkeit, Relevanz, Erfolgszuversicht, Zufriedenheit – siehe hierzu: Niegemann, Helmut. 2020. „Instructional Design.“ In Handbuch Bildungstechnologien herausgegeben von H. Niegemann und A. Weinberger. Berlin: Springer. 93-152.

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